„Wie? Sie lassen sich mit einem BĂ€ren ablichten?“


Über Menschen, Kuscheltiere und ihre PortrĂ€ts von Ralf Weiss


1)

„Hast Du ein PlĂŒschtier?! Wenn Du noch ein PlĂŒschtier hast, musst du dich unbedingt von Ralf fotografieren lassen!!!“

Die Chefin des kleinen CafĂ©s neben meiner Wohnung ist eine Ă€ußerst temperamentvolle Brasilianerin, und wenn sie mit Nachdruck um etwas bittet, muss man schon sehr gute GrĂŒnde haben, um „Nein“ zu sagen.

„Nein, ich habe keine PlĂŒschtiere!“, sage ich, wĂ€hrend mir im selben Moment einfĂ€llt, dass das glatt gelogen ist. NatĂŒrlich sind sie noch alle da. Sie liegen fĂŒnfhundert Kilometer entfernt im Haus meiner Eltern. In meinem ehemaligen Kinderzimmer. In einem großen Karton hinter dem Schrank. Und ich erinnere mich auch sehr klar an den Tag, als ich die beiden BĂ€ren, den Affen, den Hasen und den kleinen braunen Hund in diesen Karton legte. Das war in dem Alter, in dem die eigenen Eltern peinlich wurden und erst recht das alte Spielzeug. Den Hasen und den Affen zu entsorgen, war einfach. Ihre Schöpfer hatten ihnen einen blöde grinsenden Gesichtsausdruck verpasst, was mir den Abschied erleichterte. Der kleine Hund guckte grimmig, da konnte man noch ganz erwachsen sagen: Ja, guck du nur! Aber die BĂ€ren! Wie traurig solche Glasaugen schauen können! Und wie vorwurfsvoll! Vor allem Teddy Puschelohr, mein allererstes PlĂŒschtier! Der sah schon immer etwas depressiv aus, an diesem Tag aber ganz besonders. Und ich hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen, als ich den Kartondeckel ĂŒber ihm schloss.

„Welcher Teddy?“, fragen meine Eltern am Telefon ĂŒberrascht, als ich sie nun drei Jahrzehnte spĂ€ter anrufe und bitte, doch mal hinter dem Schrank nach diesem Karton zu suchen. „Teddy Puschelohr natĂŒrlich!“ Ich bin genauso verblĂŒfft: Meine Eltern haben keinerlei Erinnerung an diesen BĂ€ren, der fĂŒr mich als Kind ganz selbstverstĂ€ndlich ein Familienmitglied war.

Der Karton existiert noch. Teddy Puschelohr auch. Was meine Mutter am Telefon mit „Exhumierung“ meint, verstehe ich erst, als ich den BĂ€ren ein paar Tage spĂ€ter zugeschickt bekomme. Er steckt in einer sorgfĂ€ltig verschlossenen PlastiktĂŒte, aus der es leicht modrig riecht. An Teddy Puschelohr ist nichts mehr puschelig. Irgendwelche Motten haben ihn kahl gefressen. Der durchlöcherte blaue Pullover und die rote Hose bedecken notdĂŒrftig seine BlĂ¶ĂŸe. Aus einem Bein rieselt Holzwolle. Er schaut mich vorwurfsvoll an. Wir sprechen kein Wort miteinander.

Auf dem Foto, das Ralf Weiss dann von uns gemacht hat, spĂŒrt man dieses distanzierte VerhĂ€ltnis. Da sieht man einen BĂ€ren und einen Menschen, die mal beste Freunde waren. Aber die Zeit hat beide sehr verĂ€ndert und weit voneinander entfernt.

Deshalb hat diese Geschichte auch kein Happy End. Teddy Puschelohr sitzt heute nicht auf meinem Bett, sondern liegt wieder in einem Karton im Keller.



2)

Die meisten Bilder, auf denen Ralf Weiss Menschen und PlĂŒschtiere portrĂ€tiert hat, zeugen dagegen von einer großen NĂ€he, von liebevollen Beziehungen, denen PubertĂ€t, Ehepartner und Haustiere nichts anhaben konnten.

Ein schlechter Fotograf wĂŒrde dieses Thema fĂŒr eine sĂŒĂŸliche Kitschpostkarten-Serie ausbeuten oder die Abgebildeten der LĂ€cherlichkeit preisgeben. Davon sind diese Aufnahmen weit entfernt.

Man möchte eigentlich mit jedem dieser Menschen sofort ein GesprĂ€ch beginnen: ĂŒber die Kindheit und das Erwachsenwerden. Oder ĂŒber unsere FĂ€higkeit, tote Dinge so zu beseelen, dass wir ihnen die gleichen GefĂŒhle entgegenbringen wie lebendigen Wesen. Und warum es in unserer Kultur zwar normal ist, den Computer anzuschreien, es aber als ungewöhnlich gilt, wenn ein Mann mit seinem PlĂŒschnashorn spricht.

Warum ein quasi erotisches VerhĂ€ltnis zum Auto gesellschaftlich akzeptiert ist, aber eine Teddy-Liebhaberin milde belĂ€chelt wird, wenn sie bis in eine Puppenklinik nach ZĂŒrich fĂ€hrt, um ihrem BĂ€ren ein verlorenes Auge wieder einsetzen zu lassen.

Eine besonders enge Bindung zwischen Mensch und Kuscheltier sei bei jenen PortrĂ€tierten spĂŒrbar gewesen, die ohne Partner leben, sagt Ralf Weiss Er sagt das ganz ruhig und nĂŒchtern. Es ist eine Feststellung. Keine Denunziation. Man könnte so eine Beziehung ja auch pathologisieren und ĂŒber sie hervorragend kĂŒchenpsychologisch daherschwadronieren: Stichworte wie „Fetisch“ und „zunehmende Vereinsamung in unserer Gesellschaft“ kommen beim Publikum immer gut an.

Aber mal ganz pragmatisch betrachtet : Das Kuscheltier versteht alles, widerspricht nie und ist immer da. Von wie vielen Menschen lĂ€sst sich Gleiches behaupten? Oft ist das Wesen aus Stoff auch einfach die lebendige Erinnerung an einen geliebten Menschen: Da hĂ€lt ein Richter ein großes Katzenkissen im Arm, das ihm seine Großmutter zur Geburt gebastelt hat. Die Projektmanagerin kuschelt mit einem PlĂŒsch-Neuron. Ein Geschenk ihrer Mutter zum Examen.

Und meistens sind der BĂ€r, die Kuh, das Schweinchen die Verbindung zu der Person, die wir als Kind waren. Anlass zur Frage, was aus uns eigentlich geworden ist
 Vielleicht sind diese PortrĂ€ts auch Anstoß darĂŒber nachzudenken, was aus uns wird? So aus der Menschheit im Allgemeinen?

Es gibt ja schon heute zahlreiche Internetseiten, auf denen grauenhafte Dinge zu sehen sind: GlĂŒcklich lachende Kleinkinder, die vor einer PC-Tastatur hocken und mit „Award- Winning Software for Babies“ im Alter zwischen 6 und 24 Monaten spielen. Da stellt sich ein wenig die kulturpessimistische Frage: Könnte ein Fotograf in ein paar Generationen Ralf Weiss’ Projekt wiederholen? Oder hĂ€tten die Menschen auf den Bildern dann statt einem PlĂŒschtier nur noch einen DatentrĂ€ger in der Hand, auf dem sich das Lieblingsspiel ihrer Kindheit befindet? Wie armselig, wie furchtbar wĂ€re das!

Es kann also gar nicht genug erwachsene Menschen geben, die PlĂŒschtiere im Arm halten und diese Zuneigung ihren Kindern vererben. So gesehen, stiften die PortrĂ€ts von Ralf Weiss nicht nur gute Laune, Neugier oder Nachdenklichkeit sondern auch viel Hoffnung.



Henning Biedermann